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Strafrechtler zu Töff-Entscheid«Die Staats­anwaltschaften sollen ihre Arbeit machen»

Der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli: «Es wäre schön, wenn Gerichte nun genauer hinschauen.»
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Glück für einen angeklagten Töfffahrer: Am Montag entschied das Regionalgericht Bern-Mittelland, dass das Strafverfahren gegen den 31-jährigen Mann eingestellt wird. Das Gericht prüfte die Vorwürfe gar nicht erst. Denn es erachtete die Anklageschrift als mangelhaft und unzumutbar für die Verteidigung.

Wird der Entscheid rechtskräftig, werden die Akten geschlossen. Doch die Staatsanwaltschaft wird den Entscheid anfechten, wie sie am Montag erklärte. Ansonsten äussert sie sich nicht zum Fall.

«So etwas habe ich noch nie erlebt», sagte hingegen Anwalt Roger Lerf, der den Beschuldigten verteidigt, nach der Verhandlung. Lerf besitzt das Anwaltspatent seit 1991.

Einstellungen sind selten

Tatsächlich seien solche Entscheide sehr selten, sagt der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli. «Die Gerichte waren bisher immer sehr grosszügig.» Das sei aber eigentlich nicht zulässig. «Wenn sie nun genauer hinschauen, wäre das sehr schön.»

Der Sinn des Anklageprinzips sei, dass man genau wissen müsse, was einem vorgeworfen wird. Sonst könne man nicht herausfinden, ob die Vorwürfe stimmen oder nicht.

«Wenn Sie jemand beschuldigt, Sie seien in den letzten fünf Jahren einmal zu schnell gefahren, und erklärt, Sie wüssten ja selbst, wann und wo, dann geht das nicht.» Doch das komme vor, Anklageschriften seien oft unpräzis.

Das gelte auch für Strafbefehle. Die Staatsanwaltschaften gingen davon aus, dass sie im Fall einer Anfechtung die Details immer noch nachliefern könnten. «Im Sinn der Effizienz ist dieses Vorgehen durchaus richtig.» Aber es sei eben auch sehr unbefriedigend.

Ungenauer Tatzeitraum

Im Fall des beschuldigten Töfffahrers erfolgte die Anklage aufgrund von 32 Videodateien. Darauf sind mehrere Dutzend Töfffahrten festgehalten, an denen der Beschuldigte zusammen mit anderen Personen vorwiegend auf der Gurnigelpassstrasse beteiligt gewesen sein soll.

Die Staatsanwaltschaft warf dem 31-jährigen Schweizer zahlreiche Verkehrsdelikte vor, darunter gefährliches Überholen und zu schnelles Fahren. In einem Fall soll der Mann mit 174 Kilometern pro Stunde gefahren sein.

Wann die Fahrten genau stattgefunden haben, konnte die Staatsanwaltschaft allerdings nicht sagen. In den meisten Fällen gab sie 22 Monate – Januar 2019 bis Oktober 2020 – an.

Damit machte sie es sich zu einfach, wie sich am Prozess herausstellte. Der Zeitraum sei «extrem weit gefasst», sagte Gerichtspräsident Peter Müller. Dabei müsse eine Anklageschrift zwar kurz, aber auch präzis sein und grundlegende Elemente beinhalten: den Tatort, die Tatzeit und die Tat, die dem Beschuldigten vorgeworfen werde.

Das Gericht fand gar heraus, dass auf den Beschuldigten während eines bestimmten vorgeworfenen Zeitraums gar kein Motorrad eingelöst war.

Raiffeisen-Urteil mit Folgen

Marcel Niggli, Professor an der Universität Freiburg, hält es für möglich, dass bei diesem Entscheid der Raiffeisen-Prozess eine Rolle spielte. Vor gut einem Monat hob das Zürcher Obergericht einen Entscheid des Zürcher Bezirksgerichts gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz auf.

Unter anderem kritisierte das Obergericht die Anklageschrift als «stellenweise unnötig ausschweifend». Die Staatsanwaltschaft müsse die Verfahrensmängel beheben und anschliessend neu Anklage erheben. «Es wäre schön, wenn dieser prominente Fall nun Folgen hat», sagt Niggli.

Im Fall des mutmasslichen Rasers ging das Berner Regionalgericht mit der Einstellung des Verfahrens gar noch weiter. «Das bedeutet nichts anderes», so Niggli, «als dass das Gericht der Staatsanwaltschaft zu verstehen gibt, dass sie ihre Arbeit machen soll.»