Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Pearl-Jam-Sänger im Interview«Mir fällt kein Grund ein, warum man kein Feminist sein sollte»

Eddie Vedder: «Es gibt keinen einfachen Weg, frei zu sein.»

Mr. Vedder, was war Ihnen beim neuen Pearl-Jam-Album «Dark Matter» wichtig, was wollten Sie erzählen?

Während ich an ihnen arbeite, kann ich meist noch gar nicht sagen, was die Songs bedeuten. Das kommt erst mit der Zeit. Sie werden aber umso bedeutsamer, je lauter ich sie höre.

Andrew Watt, der «Dark Matter»-Produzent, hat sinngemäss gesagt, das Besondere an der Zusammenarbeit mit Pearl Jam sei, dass die Band aus fünf sehr unterschiedlichen Individuen bestehe, die bisweilen in unterschiedliche Richtungen strebten. Hat er recht?

Da hätte er uns früher mal erleben sollen. Wir sind heute demokratischer, diplomatischer, schlicht erwachsener als je zuvor. Wir haben eine beeindruckende Bandbreite an Talenten und Fähigkeiten in der Band, aber unsere Gegensätze bringen zwangsläufig Unstimmigkeiten mit sich. Schauen Sie mal aus dem Fenster, sehen Sie das Boot?

Das weisse Schiff auf der Themse da unten?

Genau. Wenn man mit mehreren Leuten zusammen auf einem Boot ist, muss man das Gewicht verteilen, damit es nicht sinkt. So ist es auch bei uns.

Es funktioniert nicht, wenn alle der Kapitän sein wollen?

Man muss sich einig sein: «Was denkst du, ist es besser, wenn ich vorn sitze, oder willst du ans Steuerrad?» Eigentlich eine einfache Gleichung …

Wenn sie aufgeht.

Exakt. Wir kennen auch die andere Seite: «Kannst du dich hinten ans Fenster setzen?» – «Lieber nicht, ich sass die ganze Zeit vorn und habe mich dort sehr wohlgefühlt. Wer bist du, dass du von mir verlangst, mich zu ändern?»

Früher ging es in vielen Ihrer Songs um Entfremdung, Depression, Wut. Was sind heute die vorherrschenden Gefühle? Wie viel Wut und Verzweiflung können Sie als erfolgreicher Rockstar und verheirateter zweifacher Vater noch aufbringen?

Man lernt aus Erfahrung. Die Dinge, von denen man früher dachte, man könne sie vermeiden, schätzt man heute realistischer ein. Wenn man jung ist, sagt man: Ich werde nicht mein Leben lang in dieser Vorstadt stecken bleiben. Ich werde einem Zirkus beitreten oder in einer Band sein und mein Bestes geben, um ein aussergewöhnliches Leben zu führen. Auf diese Weise werde ich mit den Problemen der meisten Leute nichts zu tun haben: mit der Gesellschaft, einem beschissenen Chef, einer Frau, die einen nicht mehr liebt, oder mit Kindern, die keinen Respekt haben. Weil ich mir ein Leben erschaffen werde, das über all diese Dinge hinausgeht.

Und dann wird man erwachsen.

So ist es. Und das ist nicht einfach. Es geht um Elternschaft, darum, eine lange, lange Beziehung aufrechtzuerhalten, wissen Sie. Und das nicht nur in meinem Privatleben, sondern auch mit der Band. Es gibt keinen einfachen Weg, frei zu sein.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Gesellschaftspolitisch war die Musikszene im Seattle der frühen Neunziger ihrer Zeit voraus. Grunge stand in Opposition zur Frauenfeindlichkeit des Rock-Patriarchats. Würde man «Nirvana» und Pearl Jam heute als woke bezeichnen?

Ja, so waren wir. Ich fand das allerdings nicht aussergewöhnlich. Später wurden die meisten von uns Eltern, und wir übertrugen diese Haltung auf unsere Familien.

Gemeinsam mit Ihrer Tochter haben Sie kürzlich ein Konzert von Taylor Swift besucht. Anschliessend haben Sie gesagt, es habe sich angefühlt wie eine Punkshow. Was haben Sie damit gemeint?

Selbst in unserer modernen Zeit mit all den neuen Kommunikationsformen scheint mir die Dynamik an den Highschools immer noch ähnlichen Mustern zu folgen wie früher. Das erkenne ich am Beispiel meiner Töchter: Es gibt diverse Cliquen, besonders beliebte Schüler, aber auch gemeine Mädchen und Jungs. Es gibt erste Andeutungen von Reife, aber auch eine Menge hormonell bedingter Dummheit. Und Menschen, die schikaniert werden. Die Pubertät ist eine schwierige Zeit, in der niemand zu verstehen scheint, wer man wirklich ist. Nicht einmal man selbst versteht sich als junger Mann oder junge Frau. Das ist wahnsinnig verwirrend.

Und von Taylor Swift fühlt diese Generation sich verstanden?

Ihr Publikum hat auf mich wie eine Gemeinschaft gewirkt. Diese jungen Leute hatten einander nie zuvor gesehen, aber sie wussten instinktiv, dass sie etwas gemeinsam haben, wie einen geheimen Code: Sie sind verbunden in ihrer Wertschätzung für diese Person, ihrer Musik und ihrer Texte, aus denen diese Altersgruppe offensichtlich Kraft und Verständnis schöpfen kann. So kommen Fremde aufeinander zu, tauschen Armbänder, begegnen einander mit einem Lächeln.

Taylor Swift ist ein Phänomen. Als sie 2023 vom «Time»-Magazin zur «Person of the Year» ernannt wurde, hiess es in der Begründung, niemand sonst sei aktuell so gut darin, «so viele Menschen zu bewegen».

Die Art, wie sie kommuniziert, ist unglaublich. Wie eine Michelle Obama des Pop. Die Offenheit und Freundlichkeit in ihrem Publikum ist einfach das Grösste überhaupt.

Und das hat Sie an die Punkkonzerte Ihrer Jugend erinnert?

Ich habe in meinem Leben so viele grossartige Dinge gesehen, bei unseren eigenen Konzerten, bei denen von Bruce Springsteen und so vielen anderen. Wir sind wahnsinnig froh, so eine Fangemeinde zu haben. Konzertgänger, die in einer stillen Übereinkunft verschmolzen sind, die sich auf etwas einigen können und bestens miteinander auskommen. Ein grosses Glück.

Ihre Tochter Olivia ist mit nach London gereist, sie war eben hier. Sie selbst sind mit Ihrem Stiefvater aufgewachsen, Ihren biologischen Vater haben Sie nie richtig kennen gelernt. Motivation für Sie, es mit den eigenen Töchtern anders machen zu wollen?

Sicherlich. Es gibt doch diesen Jim-O’Rourke-Song: «Women of the world, take over, ’cause if you don’t, the world will come to an end», kennen Sie den?

Stimmen Sie dem Text zu? Würden Sie sich als Feministen bezeichnen?

Selbstverständlich. Mir fällt kein vernünftiger Grund ein, warum man kein Feminist sein sollte, was denn bitte sonst? Genauso gut könnte man mich fragen, ob ich Humanist sei.

«You can be loved by everyone, and not feel, not feel love»: die Band Pearl Jam.

Konzerte von Stars wie Taylor Swift sind zunehmend ein exklusives Vergnügen. Als Sie die kommende Pearl-Jam-Tournee angekündigt haben, gab es einen Aufschrei wegen der Ticketpreise. Für Ihre loyalen Fans waren Pearl Jam immer eine etwas andere Band. Die Leute scheinen sich betrogen zu fühlen, können Sie das verstehen?

Ich sage es wirklich nur ungern, aber wir sprechen hier von einer begrenzten Ressource. Zumal sich die Probleme im Veranstaltungsbereich seit der Corona-Pandemie verdoppelt haben. Nach der Pandemie wollten alle so schnell wie möglich wieder Konzerte spielen, dadurch ist es eine unglaubliche Herausforderung, so eine Tour überhaupt zu planen.

Das Problem ist bekannt. Dennoch können sich längst nicht alle Eintrittspreise weit jenseits der Hundert-Franken-Grenze leisten.

Die Produktionskosten sind wirklich völlig aus dem Ruder gelaufen. Sämtliche Gewerke, beginnend von der technischen Ausstattung über Busse bis zu den Mieten für die Veranstaltungsorte, veranschlagen Preise weit über dem normalen Marktwert. Die Leute sagen: «Hey, wenn ihr meinen Preis nicht bezahlt, kein Problem, jemand anderes wird ihn bezahlen.» Das gilt selbst für Dienstleister, mit denen wir seit über 30 Jahren arbeiten. Um Ihre Frage zu beantworten: Wenn wir Geld sparen können, geben wir das an die Fans weiter. Es ist für uns aber essenziell, mindestens kostendeckend zu arbeiten. Wenn wir draufzahlen müssten und überhaupt kein Geld mehr verdienen könnten, würden wir nicht mehr auf Tour gehen.

Es geht in dieser Debatte nicht nur um die bereits hoch angesetzten regulären Preise, sondern auch um das sogenannte Dynamic Pricing. Im New Yorker Madison Square Garden kosten die verbliebenen Tickets für eine Pearl-Jam-Show zum Zeitpunkt dieses Interviews bis zu 2000 Dollar. Wer soll das bezahlen?

Einen grossen Anteil an dieser Entwicklung hat der Sekundärmarkt, das ist das eigentliche Problem. Diese Preisentwicklung hat meiner Ansicht nach sehr wenig mit Ticketmaster oder den Künstlern zu tun, das ist vor allem dem völligen Wildwuchs auf diesen Zweitmärkten geschuldet.

Weil sich die Leute durch Zwischenhändler wie Viagogo an überhöhte Preise gewöhnt haben, ist Dynamic Pricing überhaupt erst denkbar geworden?

Ja, so ist es.

Sollte die Kultur nicht dennoch ein Raum für alle bleiben – und kein exklusives Vergnügen für Vermögende, von dem immer mehr Leute ausgeschlossen werden?

Ich stimme Ihnen zu, Sie haben recht.

Denken Sie darüber nach, was in Ihrem Leben noch fehlt, welche Träume unerfüllt sind?

Nicht wirklich, nein. Wir sind glücklich, wenn wir einfach noch eine Weile grossartige Liveshows spielen können. Und vielleicht haben wir noch ein weiteres Album in uns, wer weiss. Vielleicht sogar zwei.

Warum so bescheiden, schauen Sie sich die Rolling Stones an.

Ja, ich weiss. Aber so was ist wirklich sehr, sehr selten.